Stellen Sie sich vor, Sie werden in einen Raum gerufen in dem die Luft zum Schneiden dick ist. Sie laufen aus Ihrem typischen Arbeitsalltag direkt gegen eine Wand der verlorenen Hoffnung. Ratlose und totale innere Kapitulation ausdrückende Gesichter sehen Sie an. Aus dem Teil des verzweifelten Klagens den Sie verstehen konnten, reimen Sie sich zusammen:

  • jemand wollte ein Projekt
  • die Umsetzung wurde mit Personal und Budget versehen
  • die Umsetzung ist leider gescheitert
  • Sie müssen helfen

Nun ist guter Rat teuer, denn Sie nehmen von sich nicht an schlauer zu sein als all jene, die bisher an diesem Thema gearbeitet haben. Zunächst einmal gilt es zu verstehen, was passiert ist. Doch das ist manchmal leichter gesagt als getan.

Wie ein guter Pathologe

Zunächst schauen Sie sich in Ruhe um. Ein Projekt ist per Definition ein zielgerichtetes, einmaliges Vorhaben – und damit weder in Minuten umzusetzen noch in Minuten zu retten. Zunächst nehmen Sie sich also die Zeit, das Thema zu sezieren, um den Problemen auf den Grund zu gehen. Dazu eignet sich der kleine Einstiegs-Abschnitt ganz hervorragend. Er listet alle notwendigen Voraussetzungen auf, die zum Gelingen eines Projekts beitragen können.

Da oben bereits geschrieben wurde, WAS alles getan wurde (und die Liste offenbar vollständig und für alle Zeiten abschließend ist), können Sie sich also darauf konzentrieren WIE es getan wurde. So sollten Sie relativ zügig die Stolpersteine entdecken, die Ihren Vorgängern zum Verhängnis geworden sind.

Wer ist eigentlich dieser „Jemand“

Wer hatte eigentlich diese Idee? Hinter dieser scheinbar simplen Fragestellung verbirgt sich das Geflecht der Anspruchshalter am Projekt. Es soll etwas umgesetzt werden, und das Thema wurde adressiert. Für das Gelingen des Vorhabens ist jedoch ganz entscheidend, von wem es unterstützt wurde. Es sollten für ein größeres Projekt (für kleinere Themen hätte man Sie gar nicht geholt) in einem Unternehmen mindestens drei Ebenen in die Unterstützung einbezogen werden:

Für den Projekterfolg sollte Unterstützung von mehreren Ebenen gegeben sein.
  • Funktional: technische Experten / das Team .. durchsteigt das Problem in der Tiefe und liefert Analysematerial und Ist-Prozesse
  • Operativ: Mittleres Management .. überschaut andere Vorhaben in Inhalt und Budget (interner Benchmark)
  • Administrativ: Top Management .. befindet das Vorhaben als zur Strategie passend (externer Benchmark)

Sind mehrere Fachbereiche betroffen (bspw. Logistik, Rechnungswesen und Einkauf), ist dringend zu empfehlen zumindest funktional und operativ auch all diese Bereiche einzubeziehen. Wenn sich die Möglichkeit bietet, wenden Sie sich auch gern an die Vertreter in Geschäftsführung oder Vorstand. Es kann im Ernstfall nie schaden, die Unterstützung möglichst hoher Führungsebenen zu genießen.

Sollten nicht alle Ebenen das Thema kennen – oder schlimmer noch – das Thema zwar kennen aber nicht unterstützen, dann haben Sie bereits das erste Problem entdeckt. Sollte die Unterstützung jedoch gegeben sein wenn Sie ankommen, bleibt Ihnen nichts als weiterzulesen.

Ein „Projekt“

Nennen wir diesen Teil „ich denk mir was, das macht die Dinge besser“. Im Normalfall soll ein konkretes Problem gelöst werden, was sich in verschiedenen Formen präsentieren kann. Das klingt jetzt vergleichsweise theoretisch, stattdessen können Sie auch einsetzen „Wir bauen ein Haus“.

Abstrakt gesehen haben die Anforderer einen Ziel-Zustand im Kopf (Haus ist da), von dem der Ist-Zustand abweicht (Haus ist nicht da). Um diese Lücke zu schließen, ist ein Projekt vonnöten. Das Projekt wiederum benötigt neben dem Hauptziel „Haus ist da“ einige Unterziele, wie bspw.

  • innerhalb 1 Jahres (Time)
  • mit nicht mehr als 500.000 € (Budget)
  • mit 250 qm Grundfläche und voll unterkellert (Scope)
  • die Nachbarn sollen uns nach dem Bau auch noch mögen (Change)
Die vier Dimensionen des Projekts definieren die zu erreichenden Ziele.

Wichtig ist, dass Ziele, Anforderungen, Rahmenbedinungen und Planungsprämissen angemessen dokumentiert, und als Teil der Entscheidungsfindung transparent gemacht wurden.

Vergessen Sie hier auch nicht das Vorhaben selbst. Wie hoch sind organisatorische und technische Komplexität zu bewerten? Sind heftige Widerstände zu erwarten? Versuchen Sie, ein Gefühl für die Art des Projekts zu erhalten, um das Vorhaben als Ganzes besser einordnen zu können. Was Sie hier finden, schreiben Sie am Besten in einem von Ihnen geführten Ergebnisdokument auf.

Sollte neben der wohlwollenden Unterstützung der Führungskräfte all das schon ausführlich beschrieben, geplant und abgesegnet sein, schauen Sie doch mal nach dem Umsetzungsstand.

Quo vadis Projekt?

„Gescheitert“ ist so ein hartes Wort – und Sie sollten nachfragen wie man zu diesem Schluss kommt. Projekte erreichen oft nicht das Ende (dann würde das Projekt noch laufen), oder sie erreichen nicht alle Ziele (also zumindest zum Teil erfolgreich). Wenn das Management von einem gescheiterten Projekt spricht, dann hat es im Normalfall einen Neuanfang im Sinn. Da kann es schon ausreichen, ein paar Wochen den Neustart zu planen, dem Kind einen anderen Namen zu geben und dann die Arbeit strukturiert fortzuführen. In anderen Fällen ist eine Zielerreichung im aktuellen Setup entweder sinnlos (Zielverschiebung) oder unmöglich (sehr große Anpassungen notwendig, die eine Neudefinition nötig machen). All diese Dinge finden Sie heraus, indem Sie den aktuellen Status ermitteln.

Nun geht es also um die Messung. Nach Durcharbeiten des ersten Abschnitts gibt es also einen Plan, und es ist sehr wahrscheinlich das mit den Aktivitäten zumindest begonnen wurde. Also ist nichts einfacher als das eine über das andere zu legen und den Erfüllungsgrad festzustellen, oder? Während das Ziel „Haus ist da“ recht einfach durch Sichtung zu messen ist, sind die Unterziele schon schwieriger nachzuprüfen. Zu jedem dieser Unterziele gehören Indikatoren die bei der Statusfeststellung beobachtet werden müssen. Einige Beispiele dazu:

  • Time .. Projektstart, Zeit- und Aktivitätenplanung, Meilensteine
  • Budget .. interne und externe Leistungserfassungen, Rechnungen, Obligo, Forecast
  • Scope .. Anforderungen, Lösungsbeschreibung, Qualität, Umfang

Eine großartige Gelegenheit um Versäumnisse im Projekt festzustellen, ist es, diese Art von Dokumentation zu suchen (und nicht zu finden). Sollte sich hier etwas ergeben, notieren Sie es.

Kamingespräche

Nachdem Sie nun eine Weile damit verbracht haben, alte Dokumente zu wälzen, geht es spätestens jetzt zum Projektteam. Sofern Sie die Möglichkeit haben (nicht in allen Projekten sind die Beteiligten noch greifbar / gesprächsbereit), greifen Sie sich die folgenden Kollegen für den Input zum Stand der Dinge:

  • Projektleiter/in .. hilfreich für Information zum Team, zum Management, zum Vorhaben, zum Verlauf
  • Fachteam .. hilfreich für Hintergründe zur Qualität der Lösung, Zusammenarbeit zwischen den Bereichen, konkrete Probleme
  • Management .. hilfreich um zu verstehen wie das Projekt in der Organisation wahrgenommen wird, ob es Gegner gibt

Die guten ins Töpfchen

Auch während der Gespräche schreiben Sie immer fleißig mit, was Ihnen relevant vorkommt. Nach und nach werden Sie einen Eindruck bekommen, wo der Schuh drückt. Beachten Sie, dass es einen Unterschied zwischen gefühlten und tatsächlichen Problemen gibt. Hören Sie zwischen den Zeilen, und stellen Sie nicht zuletzt viele Fragen.

Sie müssen sich in dieser Phase unbedingt neugierig geben (ohne natürlich unhöflich zu werden). Begegnen Sie trotz angemessener Fragen übermäßig viel Ablehnung, sollte Sie das misstrauisch machen. Es gab einen Grund für das Scheitern, und Sie sind angetreten diesen zu finden und zu beseitigen. Das geht im Normalfall nicht, ohne hier und da etwas tiefer zu graben.

Halten Sie sich jedoch mit vorschnellen Schlüssen oder Anschuldigungen zurück. Sollten Sie einen oder mehrere Problemfaktoren identifizieren (was wahrscheinlich ist), der sich eindeutig einer Person / einem Bereich zuordnen lässt (was eher selten ist), brauchen Sie eine saubere Taktik für Dokumentation und Kommunikation um die Organisation nicht für alle folgenden Rettungsaktivitäten zu verbrennen.

Haben Sie einen Bereich öffentlich gekreuzigt, wird er sich in Zukunft nur noch mehr schützen und jede weitere Initiative in die Richtung in Formalismen ersticken. Suchen Sie den Konsens, wenn es einen zu finden gibt. Kontra-Aktionen (bspw. über Eskalation schon vor Projektbeginn) können nötig sein, sind aber eher selten.

Sisiphus

Auch bei der Statusfeststellung geht es natürlich wieder um Dokumentenanalyse. Je nachdem in welcher Phase sich das Projekt befindet, sind das mehr oder eben weniger Dokumente die durchgeschaut werden wollen. Schauen Sie insbesondere auf

  • alle Projekte: Statusberichte, Steering Committee Protokolle
  • frühes Design: Anforderungen
  • Design: Design-Dokumentation
  • Build: Umsetzungsprotokolle
  • Build: Testplanung und Testprotokolle
  • Cutover: Offene-Punkte-Listen und Incidents
In verschiedenen Projektphasen sind bestimmte Dokumentationsstände zu erwarten.

So erhalten Sie den dokumentierten Eindruck vom Projektstatus. Stimmen die Dokumente mit den Beschreibungen überhaupt nicht überein (bspw. weil dokumentiert alles grün ist, oder weil die Doku weit hinter dem eigentlichen Projekt zurückhängt), haben sie möglicherweise eine weitere Ursache für das Scheitern gefunden.

Phönix

Als Notarzt vom Dienst haben Sie natürlich nicht nur das Wohl des Patienten im Blick, sondern auch das Wohlwollen Ihrer Auftraggeber. Stellen Sie insbesondere bei großen Projekten sicher, dass Sie das Management regelmäßig über den Fortschritt informieren.

Immer sachte

Bevor Sie das jeweils tun, prüfen Sie Inhalt und Formulierung Ihrer Ergebnisse. Es hilft immer, nach den Ursachen zu graben, aber es hilft niemandem, diese anschließend an die Kantinenwand zu nageln. Lesen Sie jeden Ihrer Status kritisch nach: ist das nötige Maß an Transparenz gegeben, oder wurde es überschritten? Welche Details sind nötig, um einerseits einen Neuanfang zu wagen und andererseits allen Beteiligten das Gefühl zu geben das dieser funktionieren wird? Eine Faustregel: wenn Sie Namen nennen, ist es in 95% der Fälle zu viel Detail.

Kommunizieren Sie also mit Fingerspitzengefühl, ohne den Moment aus den Augen zu verlieren wo klare Worte notwendig sind.

Es wird sicher einen Teil Ihrer Notizen geben den Sie ungern mit anderen teilen wollen und daher eher separat ablegen. Die – gegengelesenen – Ergebnisse sollten Sie verschriftlichen, und idealerweise in zwei Aggregationen Ihrem Auftraggeber übergeben:

  • ein Foliensatz von nicht mehr als 10 Folien zum Projekt, Ihren Analysen und Schlussfolgerungen
  • ein detailliertes Assessment-Dokument mit den relevanten Hintergründen

Letzteres können Sie schon von Beginn an nutzen um Ihre Gedanken und Findings festzuhalten. Wenn die Möglichkeit besteht, schauen Sie vor der Kommunikation der Zwischen- und Endstände mit den beteiligten Bereichen über die Inhalte und suchen Sie die Einigung. Gut geeignet dafür sind beispielsweise Vertreter aus dem mittleren Management (sollten Sie an das Top Management berichten). Sie müssen sich nicht jede Formulierung abnicken lassen, aber es hilft wenn Sie eine weitere Meinung erhalten und ggf. die Kritik an Ihren Ergebnissen kennen.

Ready, set, ..

Je nach Arbeitsauftrag kann durchaus auch die Neuplanung ein Teil des Jobs sein. Sie wissen ja jetzt wo der Hase im Pfeffer lag. Prüfen Sie, ob im Scope, bei der Zeit oder beim Geld falsch vorgegangen wurde. Möglicherweise gab es auch Probleme bei Dokumentation, Organisation oder Management Support.

Schreiben Sie also unter das große Ziel „Haus ist da“ die nun neu geordneten Teil-Ziele. Müssen Sie Zeit, Scope und Budget neu planen beziehen Sie unbedingt die beteiligten Bereiche ein, bis eine abgestimmte Planung erreicht ist. Selbst wenn die involvierten Kollegen genau die gleichen sind die damals schon geplant haben, so sind auch diese nun um ein Scheitern schlauer.

Das Ergebnis wird Ihre Auftraggeber nur manchmal überraschen, meist werden diese schon mit größeren Anpassungen rechnen (sonst hätte man Sie nicht geholt). Aber auch wenn man geschockt ist von der realistischen Planung die Sie nun ausgearbeitet haben: verhandeln Sie über den Scope wenn nötig, ändert dieser sich jedoch nicht, verhandeln Sie nie über Budget oder Zeit. Die von Ihnen gemachten Angaben sind abgewogen und abgestimmt, und jede Änderung dieser torpediert die Facheinschätzung der Kollegen (schon wieder?). Eine Planung hochzuhalten auch wenn die Entscheider „mehr für weniger“ fordern ist der erste Schritt hin zu einem erfolgreichen Neustart.

Zu guter Letzt: Sie sind da um zu helfen. Sollten Sie unsicher sein, machen Sie einen Schritt nach dem nächsten. Es ist noch kein Notarzt vom Himmel gefallen, und niemand kann Wunder von Ihnen erwarten. Mit einem strukturierten und transparenten Vorgehen haben Sie jedoch schon viel gewonnen, daher lassen Sie sich auch in stürmischen Gesprächen nicht aus der Ruhe bringen.

Dabei viel Erfolg,

Program Management Post Mortem – Was vom Tage übrig blieb
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